Vor dieser Hochzeit wird gewarnt by Heinz G. Konsalik

Vor dieser Hochzeit wird gewarnt by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-30T04:00:00+00:00


An diesem Abend nahm Sophie Rinne die Eintragungen in ihr Tagebuch wieder auf. Wie jedes brave, anständige Mädchen ihrer Zeit führte auch sie ein Buch über die kleinen und großen Begebenheiten ihres Tagesablaufs und schrieb alles nieder, was Wanda, Jakob Reichert, Wuttke, die Baronin von Suttkamm oder die Fürstin an für sie Wichtigem gesagt hatten. Auch den Klatsch in der Küche und unter der Dienerschaft trug sie ein, ihre Beobachtungen im Schloß und im Park, in der Kreisstadt oder im Gesindehaus.

Da stand zum Beispiel unter dem 9. August 1887: »Heute abend ist Jakob wieder zu Wanda geschlichen. Morgen früh wird Wanda wieder beim Frühstück einschlafen und behaupten, das käme vom Wetter.«

Wie gut, daß Wanda Lubkenski von diesem Tagebuch keine Ahnung hatte.

Für den heutigen Tag trug Sophie Rinne mit ihrer zierlichen kleinen Schrift einen einzigen Jubelschrei ein:

»Sie glauben alle, ich sei ein großes Kind, und man könne mich wie ein Püppchen hin und her tragen, in diese oder jene Ecke setzen, und da bliebe ich brav sitzen und wartete auf die Dinge, die man mir vorführt.

Ich habe sie jetzt alle getäuscht und besiegt. Alle! Wie ich mich freue!

Warum lasse ich mich von diesem Landauer malen?

Um das Bild später Leo Kochlowsky zu schenken.

Als ich den Maler sah, habe ich sofort daran gedacht, und geschickt habe ich es arrangiert, daß er mich malt und glaubt, mich überredet zu haben. Später, wenn das Bild fertig ist, werde ich ihn überzeugen, daß es nur bei mir hängen kann, und er wird es mir überlassen.

Was mache ich mit dem Dichter, den ich morgen kennenlerne? Es ist tatsächlich merkwürdig, mit welchen Leuten sich Leo Kochlowsky umgibt. Ausgerechnet er bezahlt zwei Künstler, die ihn beschützen sollen. So hat es Jakob jedenfalls berichtet. Maler und Dichter sind Leos Leibwächter. Das klingt fast wie ein Märchen.

Am meisten freue ich mich, daß ich von ihnen jetzt viel über Leo Kochlowsky erfahren werde. Wie er lebt, was er am liebsten ißt, worüber er redet, was seine Pläne sind – ich möchte alles wissen!

Wanda und alle anderen sagen, er sei der gefährlichste Mann von ganz Oberschlesien. Man könne gar nicht mehr zählen, wie viele Frauen seinetwegen weinen. Ich weiß nicht, ob man das glauben soll. Als er mit mir sprach, war er ganz anders, als die anderen ihn schildern. Ja, ich habe ihn auch brüllen hören, mit Wanda, mit den Lakaien, mit Wuttke, den Gärtnern, eigentlich brüllt er immer mit den anderen … Aber er hat auch eine warme, tiefe, sanfte Stimme, wenn er mit mir spricht, und das kann keine Verstellung sein. Das ist seine wahre Natur, wie es auch Reichert behauptete, bevor er mit Leo Kochlowsky Krach bekam: Er ist im Herzen so weich, daß er einen stacheligen Panzer seiner Umwelt gegenüber braucht.

Das erinnert mich an das, was in der Schule unsere Lehrerin erzählte: Es gibt tief unten im Meer Fische, die furchtbar aussehen, wie Fratzen und Teufelsgeburten, und die doch ganz harmlos sind. Sie sehen gerade deshalb so furchterregend aus, weil sie so harmlos sind. Es ist nur eine Abwehr.

Nein! Ich bin nicht in Leo Kochlowsky verliebt! Das soll man nicht denken.



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